Die Hochzeit zu Kana – Johannes 2,1-11 nach Adolf Schlatter

Redaktion

Beitragsbild Johannes 2,1-11: Die Hochzeit zu Kana - Aufgeschlagenes Johannesevangelium mit griechischem und deutschem Text

Hochzeit zu Kana: nach Adolf Schlatter

Das Wichtigste in Kürze

1. Das Wort wurde Fleisch

Kerngedanke: Jesu erstes Zeichen offenbart seine Herrlichkeit nicht durch Macht, sondern durch dienende Liebe. Er verwandelt Wasser zu Wein – ein Bild für den Übergang vom Gesetz zur Gnade.

Warum ist dieser Abschnitt wichtig? Dies ist Jesu erstes öffentliches Zeichen, das seine göttliche Macht offenbart. Aber es ist kein Zeichen der Gewalt oder des Zwangs, sondern der Freude und des Überflusses – ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes.

Die zentralen Aussagen:

  • Jesus wirkt sein erstes Zeichen bei einer Hochzeit – als Diener der Freude
  • Maria lernt: Jesus handelt nach Gottes Zeitplan, nicht nach menschlichen Wünschen
  • Die Wasserkrüge der Reinigung werden zu Gefäßen des Überflusses
  • Das Zeichen offenbart Jesu Herrlichkeit – und die Jünger glauben an ihn


Vom Jordan zur Hochzeit

Drei Tage nach der Verheißung an Nathanael, dass er die Engel dem Menschensohn dienen sehen würde, kommt Jesus mit seinen Jüngern zu einem Hochzeitsfest. Es ist ein Übergang voller Bedeutung: Vom Jordan, wo Johannes der Täufer den Ernst der Buße predigte, zur Hochzeit in Kana, wo Jesus als Diener der Freude auftritt. Was bedeutet diese Wende? Sie zeigt, dass mit Jesus etwas grundlegend Neues beginnt – nicht die Aufhebung des Gesetzes, aber seine Erfüllung in der Freude an Gottes Gabe.


Der Bibeltext (Johannes 2,1-11)

Es waren aber sechs steinerne Wasserkrüge dort aufgestellt nach der Reinigungssitte der Juden, wovon jeder zwei oder drei Maß fasste. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt es dem Speisemeister! Und sie brachten es ihm. Als aber der Speisemeister das Wasser, das zu Wein geworden war, gekostet hatte — und er wusste nicht, woher er war; die Diener aber wussten es, die das Wasser geschöpft hatten —, ruft der Speisemeister den Bräutigam ¹⁰ und spricht zu ihm: Jedermann setzt zuerst den guten Wein vor, und wenn sie trunken geworden sind, dann den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten!

¹¹ Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus in Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.


1. Ein Fest in Galiläa (Vers 1-3)

Das Haus, in dem Jesus einkehrte, war nicht reich. Der Weinvorrat ging zur Neige.

Maria wendet sich an ihren Sohn – nicht mit einer direkten Bitte, sondern mit einer schlichten Feststellung: „Sie haben keinen Wein.“ Gerade diese Zurückhaltung zeigt ihre tiefe Zuversicht. Sie erwartet seine Hilfe.

Was war in Marias Herz vorgegangen? Die Botschaft von Jesu Sendung hatte sie mit neuer Kraft erfüllt: Gott hatte Jesus als den Christus geoffenbart. Johannes der Täufer hatte ihn bezeugt. Die ersten Jünger waren um ihn versammelt. Jetzt begann seine Herrschaft sichtbar zu werden.

Da wuchs die Erwartung ins Grenzenlose: Jetzt kommen Gottes große Wunder. Israels Gott war schon immer ein Gott der Wunder gewesen. Wenn sein Königreich sichtbar wird, dann in voller Herrlichkeit. Wie sollte es möglich sein, dass dort, wo der König des Himmelreichs zu Gast ist, Mangel herrscht?

In Marias Leben waren das festliche Tage. Ihr Loblied aus der Verkündigung hallte in ihr nach: „Meine Seele erhebt den Herrn!“ Sollte sich nun ein Missklang in diese Tage mischen? Sollte sie Jesus nicht bitten dürfen, jede Störung von diesem Fest fernzuhalten?


2. Die notwendige Korrektur (Vers 4)

Jesus hatte eine ernste Aufgabe: Er musste diese Erwartungen in die richtige Form bringen. In Marias Haltung lag echter Glaube – und Jesus würde diesen Glauben nicht beschämen. Er war ja gekommen, um Glauben zu wecken, nicht um ihn zu zerstören.

Aber dieser Glaube brauchte Läuterung. Es war noch ein ungeduldiger Glaube, der seine Wünsche aus einer unklaren, begrenzten Gotteskenntnis ableitete und sie Jesus dennoch als Gesetz entgegenhielt. Jesus musste ihn in stilles Warten und Aufmerken auf Gottes Handeln verwandeln.

Die Zurückweisung war fest und ernst. Schon die Anrede machte das deutlich: „Frau“ – nicht „Mutter„. Damit erinnerte Jesus sie an ihren Platz. Soll die Frau regieren, den Christus leiten, Gott Stunde und Weg vorschreiben? Sie hat nichts von ihm zu verlangen. Er kann nicht auf ihre Wünsche achten.

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Jesus machte jede Abhängigkeit von ihr rückgängig. Maria mochte meinen, sie habe hier viel zu wünschen und zu raten – er ist ja ihr Sohn. Aber den Sohn, den sie leiten könnte und dürfte, hatte sie verloren. Nun galt ein anderer Wille, nicht mehr ihr Wunsch.

Jesus konnte nur handeln, wenn seine Stunde da war. Und diese Stunde führte der Vater herbei, an dessen Leitung er völlig gebunden war.

Maria hatte auf diese Stunde gewartet – auf die Stunde, in der das Geheimnis offenbar werden würde, das seit seiner Geburt in ihm lag. Die verheißene Herrlichkeit schien jetzt gekommen: Der Täufer hatte gesprochen. Die Jünger schauten gläubig zu ihm auf. Jesus selbst stand da, seiner Sendung gewiss.

Nun hörte sie erneut:
Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Jesus wartete noch. Was Maria bereits für erfüllt hielt – die Befreiung von allem Mangel, das Sichtbarwerden göttlicher Hilfe, die Herrlichkeit und Macht Gottes – sah er erst in der Zukunft. Auch sein Gott war ein Gott der Wunder, auch sein Reich war voll Herrlichkeit. Nur: jetzt noch nicht.

Worauf wartete er noch? Der Täufer hatte es ihm zugerufen:

Du Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!


3. Erinnerung an den Tempel

Es war ein ähnlicher Vorgang wie damals im Tempel, als Jesus zwölfjährig erstmals bewusst am Gottesdienst Israels teilgenommen hatte. Schon damals war offenbar geworden, dass die Mutter ihn nicht verstand und nicht führen konnte. Sie wusste nichts von jener „Notwendigkeit“, die ihn im Haus des Vaters festhielt. Sie hielt es für nötig, nach Hause zu gehen.

So musste Maria auch jetzt, wo Jesus mit Blick auf sein messianisches Ziel handelte, erneut erkennen: Sie verstand ihn nicht. Sie kannte seine Stunde nicht. Sie durfte ihn nicht antreiben und nichts von ihm fordern. Sie hatte zu warten, bis er frei aus der Gewissheit göttlicher Leitung handelte.

Aber wie damals im Tempel verlor Maria ihren Sohn nicht. Jesus ging willig mit ihr nach Nazareth, weil er auch in der Unterordnung unter die Eltern „in dem blieb, was des Vaters ist“. So wurde auch diesmal ihre Erwartung nicht enttäuscht.

Obwohl seine Stunde noch nicht gekommen war, war Jesus auch in der dienenden Haltung des Niedrigen der unbegrenzten Macht des Vaters froh und gewiss. Und er sah sich ermächtigt, sie wirksam zu machen.


4. Stille Zuversicht (Vers 5)

Maria beugte sich. Sie ließ ihn frei. Aber sie hielt auch unerschütterlich an ihrer Zuversicht fest.

Sie blieb dabei: Weil er hier ist, kann das Fest nicht gestört werden. Er weiß Rat.

Und Jesus selbst dachte ebenso. Er gab den Seinen recht, wenn sie mit Erwartung auf ihn schauten: Bist du bei uns, dann ist jeder Mangel fern.

Weil die Stunde noch nicht gekommen war, tat Jesus das Wunder nicht aus eigenem Antrieb. Die Zeit war noch nicht da, in der er den Seinen den vollen, ungetrübten Genuss der göttlichen Güte bereiten konnte – die wahre Festfeier in ungestörter Freude.

Aber nachdem er um Gabe und Hilfe gebeten worden war, versagte er sie nicht.

Man darf nicht sagen, dass es sich um eine Kleinigkeit gehandelt habe. Es handelte sich um den Glauben der Seinen. Und den Glauben hat Jesus nie als etwas Geringfügiges behandelt – unbekümmert, ob er wachse oder verderbe.

Auch heute noch übersieht Gottes Regierung niemals und nirgends den Glauben. In der Leitung der großen und der kleinen Dinge gewährt Gott dem Glauben die Erhörung und Erfahrung, in der er Grund und Kraft gewinnt.


5. Das Zeichen (Vers 6-8)

Was nun geschah, entzieht sich der Beschreibung. Es fällt ins Geheimnis des schöpferischen Wirkens.

Das Zeichen bekam dadurch besondere Bedeutung, dass Jesus hier nicht – wie später so oft – aus Erbarmen mit großer Not handelte, die ein Menschenleben zerrüttete. Er handelte als Diener der Freude an den Seinen. Er gab einem Hochzeitsfest seine Vollendung.

So wurde dieses Zeichen ein bedeutsamer Ausdruck für das, was mit Jesus der Welt gegeben ist.

Jesus kam mit seinen Jüngern soeben vom Jordan, wo der Täufer den tiefen Ernst der Buße und Gottesfurcht in die Seelen der Erschütterten gelegt hatte. Johannes hatte gezeigt, dass es zu ringen galt, um durch die enge Pforte einzugehen.

Diese Furcht und dieses Ringen waren das richtige und notwendige Ergebnis des ganzen bisherigen Gottesdienstes unter dem Gesetz. Auch beim Hochzeitsfest fehlten die großen Wasserkrüge nicht, die der ständigen peinlichen Sorge für Reinheit dienten – und die Jesus nun zu seinem Zweck verwendete.

Jetzt brach etwas Neues an: Die dankbare Freude im Genuss der göttlichen Gabe begann. Jesu Beruf war es, die zu erquicken, denen ihr Gottesdienst nur Mühsal und Belastung gebracht hatte. Und genau dort, wo der eigene Vorrat zu Ende war, füllte seine Gabe allen Mangel aus.


6. Verborgene Herrlichkeit (Vers 9-10)

Zur eigenen Verherrlichung hat Jesus seine Zeichen nie gebraucht. Er machte auch hier nicht selbst offenbar, was er getan hatte.

Der Speisemeister wusste nicht, woher der gute Wein kam. Er rief den Bräutigam und lobte ihn: „Jedermann setzt zuerst den guten Wein vor, und wenn sie trunken geworden sind, dann den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten!“

So wurde Jesu Gabe offenbar – nicht durch Selbstdarstellung, sondern durch die Erfahrung derer, die seine Gabe empfingen.


7. Der Anfang (Vers 11)

Als Zeichen wollte Jesus solche Taten verstanden wissen. Nicht als seine wesentliche Gabe und sein eigentliches Werk. Sondern als Merkzeichen und Fingerzeige, an denen seine Gemeinschaft mit dem Vater erkennbar wurde – wie voll, wahr und kräftig sie war.

Darum machten diese Taten, die er in der Macht Gottes tat, seine Herrlichkeit sichtbar. Und deshalb hatten sie auch für die Stellung der Jünger zu ihm eine innerliche und wichtige Bedeutung.

Zum Bekenntnis, dass er Gottes Sohn und König Israels sei, hatte sie schon das Wort des Täufers und ihr erster Verkehr mit Jesus bewogen. Als sie ihn aber wirken sahen, was nur Gottes Schöpfermacht vermag, da schätzten sie ihn auf neue Weise.

Jetzt hingen sie fest an ihm. Sie hielten sich in fröhlicher Zuversicht ganz an ihn.

Nun glaubten sie an ihn.


Zusammenfassung: Was uns dieser Abschnitt sagt

Jesus als Diener der Freude. Sein erstes Zeichen ist kein Machtwort gegen Krankheit oder Tod, sondern ein Dienst an der Freude. Er kommt nicht, um zu zerstören, sondern um zu erfüllen und zu vollenden. Das Hochzeitsfest wird nicht gestört, sondern durch seine Gegenwart vollendet.

Die Läuterung des Glaubens. Maria glaubt – aber ihr Glaube braucht Läuterung. Sie muss lernen, nicht auf Gottes Zeit und Weg zu drängen, sondern zu warten. Jesus handelt nicht nach menschlichen Wünschen, sondern nach Gottes Plan. Seine Stunde kommt – aber sie wird vom Vater bestimmt, nicht von uns.

Vom Gesetz zur Gnade. Die Wasserkrüge der Reinigung werden zu Gefäßen des Überflusses. Das ist das Evangelium in einem Bild: Was nur Reinigung forderte und Mühsal brachte, wird durch Jesus zu Quelle der Freude. Das Gesetz wird nicht abgeschafft, sondern erfüllt. Die Buße des Johannes führt zur Freude bei Jesus.

Die Herrlichkeit im Verborgenen. Jesus macht sein Wunder nicht öffentlich bekannt. Er sucht keine Selbstdarstellung. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht in lauter Demonstration, sondern in der Erfahrung derer, die seine Gabe empfangen. Der Speisemeister lobt den Bräutigam – und weiß nicht, dass Jesus der wahre Geber ist.

Der Glaube der Jünger. Sie glaubten schon vorher an Jesus – aber jetzt glauben sie auf neue Weise. Sie sehen, dass er wirklich in der Macht Gottes handelt. Ihr Glaube wird gestärkt, vertieft, gefestigt. Sie hängen sich mit fröhlicher Zuversicht ganz an ihn.

Das erste Zeichen ist zugleich das programmatische Zeichen: Jesus bringt nicht Gesetz und Strenge, sondern Gnade und Freude. Er kommt nicht, um zu fordern, sondern um zu geben. Er ist der, in dessen Gegenwart der Mangel ein Ende hat.

Häufig gestellte Fragen


Warum war die Anrede „Frau“ so bedeutsam?

Im Griechischen ist die Anrede „gynai“ (Frau) nicht unhöflich, aber sie ist distanziert. Jesus macht damit deutlich: In seiner messianischen Sendung steht er nicht unter der Autorität seiner Mutter. Er handelt nach Gottes Willen, nicht nach familiären Erwartungen. Das ist die gleiche Lektion wie im Tempel mit zwölf Jahren: „Ich muss in dem sein, was meines Vaters ist.“

Was bedeutet „meine Stunde ist noch nicht gekommen“?

Die „Stunde“ Jesu ist im Johannesevangelium ein theologischer Begriff für seinen Tod und seine Verherrlichung am Kreuz. Das ist der Zeitpunkt, an dem Gottes Heilsplan erfüllt wird. Jesus sagt: Die Zeit der vollen Offenbarung meiner Herrlichkeit ist noch nicht da – das wird erst am Kreuz und in der Auferstehung sein. Trotzdem wirkt er das Zeichen, weil der Glaube seiner Mutter und der Jünger es erfordert.

Warum ausgerechnet Wein?

Wein ist im Alten Testament ein Bild für Freude, Segen und messianische Fülle. Die Propheten verhießen, dass im messianischen Reich Wein im Überfluss fließen würde. Jesus erfüllt diese Verheißung – nicht nur symbolisch, sondern real. Und er gibt nicht irgendeinen Wein, sondern den besten Wein. Das zeigt: Mit Jesus beginnt die Zeit der Fülle.

Warum betont Johannes die Wasserkrüge der Reinigung?

Diese Krüge dienten der rituellen Reinigung nach jüdischem Gesetz. Sie stehen für den alten Gottesdienst, der vor allem Reinheit forderte und Mühsal brachte. Jesus verwandelt sie in Quellen der Freude. Das ist ein Bild für den Übergang vom Gesetz zum Evangelium: Was nur forderte, wird durch Jesus zum Geschenk.

Warum machte Jesus das Wunder nicht öffentlich bekannt?

Jesus suchte nie Selbstdarstellung oder spektakuläre Wirkung. Seine Zeichen waren nicht für die Massen gedacht, sondern für die, die glauben wollten. Der Speisemeister lobte den Bräutigam – und wusste nicht, dass Jesus der wahre Geber war. Das zeigt: Gottes Herrlichkeit wirkt oft im Verborgenen, nicht in lauter Selbstinszenierung.

Was heißt „seine Jünger glaubten an ihn“?

Sie glaubten schon vorher, dass Jesus der Messias war – aufgrund des Zeugnisses des Täufers und ihrer ersten Begegnungen mit Jesus. Aber jetzt, nachdem sie ihn in der Macht Gottes wirken sahen, bekam ihr Glaube eine neue Qualität. Sie erlebten, dass Jesus wirklich Gottes Sohn ist, dass er schöpferische Macht besitzt. Ihr Glaube wurde gestärkt, vertieft, gefestigt.


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📖 Teil der Serie: Das Johannesevangelium verstehen

Dieser Beitrag ist Teil einer fortlaufenden Auslegung des Johannesevangeliums nach Adolf Schlatter – in moderner, verständlicher Sprache.


Zuletzt aktualisiert: Dezember 2024

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