- Glaube vs. Wissenschaft: Ist religiöser Glaube blind oder kann er auf Beweisen basieren?
- Atheismus vs. Christentum: Welche Weltanschauung wird besser von der Wissenschaft unterstützt?
- Das Design-Problem: Braucht die Komplexität des Universums einen Designer, oder erklärt sich alles durch natürliche Prozesse?
- Religion und Gewalt: Ist Religion gefährlich und führt sie zu Gewalt?
- Moral ohne Gott: Können Menschen auch ohne Gott moralisch handeln?
- Jesus Christus: Sind die christlichen Behauptungen über Jesus historisch wahr?
Vereinfachte Darstellung der Debatte: Worum ging es in dieser Debatte?
Im Jahr 2007 trafen sich zwei kluge Männer aus Oxford zu einer öffentlichen Diskussion. Professor Richard Dawkins hatte gerade sein berühmtes Buch „Der Gotteswahn“ geschrieben, in dem er behauptet, dass Gott nicht existiert. Dr. John Lennox, ein Christ und Mathematiker, widersprach ihm und brachte die Theologie ins Spiel. Die beiden diskutierten höflich aber leidenschaftlich über die großen Fragen des Lebens.
Die Hintergründe der beiden Männer
Richard Dawkins wurde in Afrika geboren, als es noch zum britischen Empire gehörte. Seine Familie waren Kolonialbeamte, die in der Zeit der Entstehung der Welt lebten. Schon als Kind interessierte er sich für die großen Fragen:
- Warum gibt es uns?
- Was ist der Sinn des Lebens?
Das führte ihn zur Wissenschaft. Als Jugendlicher war er noch gläubig und wurde sogar in der anglikanischen Kirche konfirmiert, was seine frühe Verbindung zur Genesis widerspiegelt, wie sie in der Bibel zu lesen ist. Aber mit etwa 16 Jahren verlor er seinen Glauben, als er Darwins Evolutionstheorie und die damit verbundenen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse kennenlernte. Für ihn erklärte die Evolution alles – ohne dass man einen Gott braucht, was den Naturalismus unterstützt.
John Lennox wuchs in Nordirland auf, einem Land mit vielen religiösen Konflikten. Seine Eltern waren Christen, die an die Schöpfung und die Existenz Gottes glaubten, aber nicht fanatisch. Sie ermutigten ihn, alles zu lesen und zu hinterfragen – sogar Bücher von Atheisten wie Marx und Russell.
Lennox studierte Mathematik in Cambridge und reiste später oft nach Osteuropa, um zu sehen, welche Auswirkungen 70 Jahre atheistische Erziehung in der Sowjetunion hatten. Er blieb sein ganzes Leben lang Christ.
Die sechs großen Streitpunkte

1. Ist Glaube blind oder vernünftig?
Dawkins‘ Position:
Dawkins argumentierte scharf, dass Glaube grundsätzlich blind sei und im Gegensatz zur evidenzbasierten Wissenschaft stehe. Für ihn ist Glaube etwas, was man ohne Beweise annimmt – wenn es Beweise gäbe, bräuchte man keinen Glauben mehr. Er kritisierte besonders, dass Religion uns lehre, nur auf Glauben zu vertrauen, ohne die Naturwissenschaft zu berücksichtigen.
**Es sei eine Tugend, sich damit zufriedenzugeben, etwas nicht zu verstehen**“.
Die Wissenschaft hingegen suche aktiv nach Lücken im Wissen, um diese zu schließen und dabei den Naturalismus zu fördern. Während die Wissenschaft sage „Gut, dann krempeln wir die Ärmel hoch und arbeiten daran„, antworte die Religion einfach „Oh, Gott hat es getan„. Diese Haltung lähme den Impuls zu verstehen und verhindere weitere wissenschaftliche Arbeit.
Lennox‘ Gegenargument:
**Die Evolution und Schöpfung müssen nicht als Gegensätze betrachtet werden.**
Lennox widersprach vehement und unterschied zwischen verschiedenen Arten des Glaubens, insbesondere zwischen Glauben und Naturwissenschaft. Mancher Glaube sei blind und gefährlich – das gelte aber für religiöse wie weltliche Menschen gleichermaßen.
Nicht jeder Glaube sei jedoch blind, denn Glaube beinhalte die Konzepte von Überzeugung, Vertrauen und Verpflichtung und sei daher nur so stark wie die Beweise dafür.
Er gab das berühmte Beispiel: „Sie haben Vertrauen in Ihre Frau, so wie viele Menschen Vertrauen in die Schöpfung setzen.“ Gibt es dafür Beweise? Ja – durch all die kleinen Zeichen, die Art wie sie Sie anschaut, ihre Stimme. Das sind Beweise, aber es ist trotzdem Glaube“.
Christlicher Glaube sei rational und basiere auf objektiven Beweisen aus der Wissenschaft, der Geschichte und subjektiven Erfahrungen, die auch die Evolution und Schöpfung berücksichtigen.
Lennox betonte auch, dass Wissenschaft begrenzt sei und nicht mit Rationalität gleichgesetzt werden dürfe, besonders wenn es um die Theologie und Naturwissenschaft geht. Was jenseits der Wissenschaft liege, sei nicht unbedingt irrational, insbesondere wenn man die theologischen Implikationen der Schöpfung betrachtet.

2. Unterstützt die Wissenschaft den Atheismus oder das Christentum?
Dawkins‘ Argumentation ist oft eine naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept des Intelligent Design und steht im Kontrast zur Theologie und Naturwissenschaft.
Dawkins zitierte seinen Kollegen Jerry Coyne zustimmend: „Der wahre Krieg zwischen Glauben contra Wissenschaft findet zwischen Rationalismus und Aberglauben statt.“ Wissenschaft ist nur eine Form des Rationalismus, während Religion die häufigste Form des Aberglaubens ist“. Er lehnte die Idee nicht-überlappender Bereiche (NOMA) ab und argumentierte, dass religiöse Aussagen über das Universum wissenschaftliche Aussagen seien.
Ein Universum mit Gott wäre völlig anders als eines ohne Gott, und wissenschaftliche Methoden seien geeignet, zwischen diesen Möglichkeiten zu entscheiden. Besonders bei Wundern wie der Jungfrauengeburt oder Auferstehung handle es sich um streng wissenschaftliche Behauptungen, die wissenschaftlich beurteilt werden müssten.
Lennox‘ Widerlegung beinhaltete auch die Entstehung der Welt aus einer theologischen Perspektive.
Lennox argumentierte, dass der Atheismus die Wissenschaft ernsthaft untergrabe. Er verwies auf die historische Tatsache, dass die moderne Wissenschaft aus einem theistischen Hintergrund entstanden sei – die sogenannte Whitehead-These besagt, dass Menschen wissenschaftlich wurden, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten.
Sein stärkstes Argument war philosophischer Natur: Wenn der Atheismus recht habe und alle Überzeugungen auf die Physik und Chemie neurologischer Strukturen reduziert werden könnten, dann stellte sich die Frage:
„Wenn meine Überzeugungen, meine wissenschaftlichen Theorien letztendlich das Ergebnis der Bewegungen von Atomen in meinem Gehirn sind, die durch einen ungelenkten, zufälligen, sinnlosen Prozess hervorgerufen werden, warum sollte ich dann an sie glauben?„
Der Atheismus säge gewissermaßen den Ast ab, auf dem er sitze.

3. Braucht das Universum einen Designer?
Dawkins‘ Hauptargument:
Dawkins brachte sein zentrales Argument vor: „Wer hat den Designer entworfen?“ Ein Designer-Gott könne nicht zur Erklärung organisierter Komplexität herangezogen werden, denn jeder Gott, der in der Lage sei, etwas zu entwerfen, müsse selbst so komplex sein, dass er dieselbe Erklärung erfordern würde. Gott stelle einen unendlichen Regress dar, was in der Diskussion über die Evolution und Schöpfung relevant ist.
Kurz erklärt, was mit Regress gemeint ist:
- Stell dir vor, dein Freund fragt dich: „Warum hast du Hausaufgaben gemacht?“
- Du antwortest: „Weil Mama es gesagt hat.“
- Dein Freund fragt dann: „Warum hat Mama es gesagt?“
- Du antwortest: „Weil die Lehrerin es ihr gesagt hat.“
- Dein Freund fragt wieder: „Warum hat die Lehrerin es gesagt?“
- Du antwortest: „Weil das im Lehrplan steht.“
Ein unendlicher Regress wäre jetzt, wenn diese Fragen und Antworten nie aufhören würden. Für jede Antwort gäbe es immer wieder eine neue „Warum“-Frage, und man würde niemals zu einem ersten Grund kommen, bei dem keine Frage mehr nötig ist. Es ist wie eine Kette, die einfach immer weitergeht, ohne ein Ende zu finden.
Er verwies auf die Feinabstimmung des Universums, argumentierte aber, dass die Multiversum-Theorie eine bessere Erklärung liefere: In einem schäumenden Universum von Milliarden Universen mit unterschiedlichen Grundkonstanten müsse es zwangsläufig einige geben, die Leben ermöglichen – und in einem solchen leben wir naturgemäß.
Darwin habe bereits gezeigt, dass komplexe Dinge durch einfache, natürliche Prozesse entstehen können. Die natürliche Selektion sei das genaue Gegenteil von Zufall und könne die gesamte organisierte Komplexität des Lebens erklären, wie Charles Darwin es darlegte.
Lennox‘ Erwiderung:
Lennox wies darauf hin, dass Dawkins‘ Argument voraussetze, dass Gott erschaffen wurde – aber geschaffene Götter seien per Definition eine Wahnvorstellung. Der Gott der Bibel sei jedoch ungeschaffen und ewig. „Der Gott, der das Universum erschaffen hat, wurde nicht erschaffen. Er ist ewig.“ Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Gott und dem Universum, das durch den Urknall entstanden ist.
Er kritisierte auch Dawkins‘ Gleichsetzung von Komplexität mit Schwierigkeit zu verstehen. In der Wissenschaft seien Erklärungen oft komplexer als das zu Erklärende – ein fallender Apfel sei einfach, aber Einsteins Erklärung über die Krümmung der Raumzeit überfordere selbst die Klügsten, ähnlich wie die Entstehung des Kosmos.
Sein Archäologen-Beispiel war besonders eindrucksvoll: Wenn man in einer Höhle chinesische Schriftzeichen finde, schließe man auf menschliche Intelligenz, was die Naturwissenschaftler als Beweis für Geschöpfe ansehen würden. Niemand würde sagen: „Das kann keine Erklärung sein, weil ein menschliches Gehirn komplexer ist als zwei Kratzer an der Wand“.

4. Ist Religion gefährlich?
Dawkins‘ Anklage:
Dawkins listete eine erschreckende Litanei religiöser Gewalt auf: Selbstmordattentäter, die aus einem verzerrten Verständnis von Schöpfung handelten. September, Kreuzzüge, Hexenverfolgungen, religiöse Kriege, Taliban-Terrorismus. Sein Hauptpunkt war jedoch subtiler: Selbst milde Religion schaffe ein Klima des Glaubens, in dem Extremismus gedeihen könne.
Das wirkliche Problem sei, Kindern beizubringen, dass „Glaube eine Tugend“ sei – also dass man Dinge ohne Beweise glauben solle, was den Schöpfungsglauben betrifft. Dies schaffe eine Konvention, dass religiöser Glaube respektiert und nicht hinterfragt werden dürfe. Die Terroristen des 11. September missbrauchten ihren Glauben, was die Debatte über Glauben contra Wissenschaft neu entfachte. Septembers waren oft von einer fanatischen Ideologie des Kreationismus beeinflusst. September seien keine Psychopathen gewesen, sondern gut ausgebildete, rationale Menschen, die leidenschaftlich von ihrer Sache überzeugt waren – ihre schrecklichen Taten folgten logisch aus ihren religiösen Prämissen.
Lennox‘ Verteidigung:
Lennox stimmte zu, dass Religion missbraucht werden könne, wies aber darauf hin, dass auch atheistische Ideologien zu Gewalt führten – man denke an Stalin oder Pol Pot, was die Frage nach der Entstehung der Welt aufwirft. Das Problem sei nicht Religion an sich, sondern jede fanatische Ideologie, wie etwa der Kreationismus, die Menschen unterdrücke und den Schöpfungsbericht ablehnen.
Er argumentierte, dass es von jeder Ideologie einen logischen Weg zu extremem Verhalten gebe, wenn sie fanatisch und unterdrückerisch werde – das gelte für religiöse wie atheistische Weltanschauungen gleichermaßen. Atheismus sei ebenfalls ein Glaube, auch wenn Dawkins das bestreite, und er argumentiert, dass der Glaube an einen Gott der Welt irrational sei.

5. Braucht man Gott für Moral?
Dawkins‘ Position:
Dawkins argumentierte, dass Menschen Gott nicht bräuchten, um gut zu sein. Es gebe nur zwei mögliche Gründe, warum man Gott für Moral brauchen könnte: Entweder man brauche ein Buch, das einem sage, was moralisch ist, oder man handle aus Angst vor Strafe bzw. Hoffnung auf Belohnung.
Zum ersten Punkt: Niemand solle seine Moral auf die Bibel oder den Koran stützen, denn dann wäre sie „wahrscheinlich abscheulich“. Menschen pickten sich ohnehin die guten Verse heraus und ignorierten die schlechten – aber um diese Auswahl zu treffen, bräuchten sie bereits ein moralisches System, das oft von theologischen Überzeugungen geprägt ist.
Die Moral stamme aus der evolutionären Vergangenheit: In kleinen Verwandtschaftsgruppen war es vorteilhaft, kooperativ zu sein, was durch die Biologie unterstützt wird. Zusätzlich gebe es einen „moralischen Zeitgeist“ – die Moral entwickle sich weiter, ohne dass sich die Heiligen Schriften änderten, was die Naturwissenschaftler herausfordert und den Schöpfungsglauben ablehnen könnte.
Lennox‘ Gegenargument:
Lennox gab zu: „Natürlich können Atheisten gut sein„. Aber er fragte nach der Grundlage für Moral im Kontext der Theologie. Er zitierte Dawkins‘ eigene Worte aus einem anderen Buch: Das Universum habe „keinen Plan, keinen Zweck, kein Böses und kein Gutes. Nichts als blinde, gnadenlose Gleichgültigkeit„.
Wenn das stimme, wie könne man dann überhaupt von „gut“ und „böse“ sprechen? Wenn Pol Pot eine Million Menschen töte oder Terroristen Hunderte in den Tod flögen, wie könne man sie böse nennen, wenn sie nur ihrer DNA folgten? Lennox verwies auf David Humes Einsicht: „Aus dem Ist lässt sich kein Soll ableiten. Man kann Moral und Ethik nicht aus Materie und Energie ableiten„.
Er warnte vor einer Welt ohne transzendente moralische Grundlage und zitierte Dostojewski:
**“WENN GOTT NICHT EXISTIERT, IST ALLES ERLAUBT“.**

6. War Jesus wirklich Gottes Sohn?
Dawkins‘ Zweifel: Er hinterfragt die Annahme, dass die Welt erschaffen wurde, ohne dass Beweise vorliegen.
Dawkins bezweifelte die historischen Beweise dafür, dass Jesus jemals göttlichen Status beansprucht habe. Er beschrieb Jesus als einen treuen Juden, der eine Moral „innerhalb der Gruppe“ praktiziert habe, gepaart mit „Feindseligkeit gegenüber anderen Gruppen“. Es sei Paulus gewesen, der die Idee hatte, den jüdischen Gott zu den Heiden zu bringen.
Wunder wie die Jungfrauengeburt oder Auferstehung verstießen gegen die Naturgesetze und seien daher höchst unwahrscheinlich.
Lennox‘ Verteidigung:
Lennox verteidigte die Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und verwies auf Historiker wie Sherwin White von Oxford, der sagte, es wäre „absurd zu behaupten, dass die grundlegende Historizität des Lukas falsch sei„.
Er korrigierte Dawkins‘ Darstellung Jesu als gruppenbezogen: Bereits im Levitikus stehe: „Wenn ein Fremder bei euch in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht ungerecht behandeln… und ihn lieben wie dich selbst“. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeige deutlich Jesu universelle Nächstenliebe.
Zu den Wundern argumentierte Lennox, dass sie nicht gegen Naturgesetze verstießen, sondern dass Gott als Schöpfer des Universums frei sei, neue Ereignisse einzufügen. Wie C.S. Lewis in seinen Schriften über die Existenz Gottes argumentierte. Lewis gesagt habe: Wenn man Geld in den Schreibtisch lege und am nächsten Tag weniger finde, seien nicht die Gesetze der Arithmetik verletzt, sondern die Gesetze des Landes.
Die Auferstehung Jesu sei für ihn der zentrale Beweis nicht nur gegen den Atheismus, sondern dafür, dass Gerechtigkeit real sei und unser Sinn für Moral uns nicht verspotte.
Wie endete die Debatte?
Am Ende blieben beide bei ihren Überzeugungen, die jeweils auf unterschiedlichen theologischen oder wissenschaftlichen Grundlagen basierten. Dawkins schloss mit den Worten, dass Darwin die größte Leistung des menschlichen Geistes vollbracht habe, indem er zeigte, wie Komplexität ohne Designer entstehen kann. Für ihn ist ein Gott „sehr, sehr unwahrscheinlich“.
Lennox warnte vor einer Welt ohne Gott – einer Welt ohne echte Moral und Gerechtigkeit. Für ihn ist die Auferstehung Jesu der Beweis, dass es mehr gibt als nur Materie und Energie.
Was können wir daraus lernen?
Diese Debatte zeigt, dass intelligente Menschen zu völlig unterschiedlichen Schlüssen kommen können, auch wenn sie dieselben wissenschaftlichen Fakten betrachten. Beide Männer respektierten sich gegenseitig und führten eine zivilisierte Diskussion über die wichtigsten Fragen des Lebens. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man über tiefe Meinungsverschiedenheiten sprechen kann, ohne sich zu beschimpfen oder zu verletzen.